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------------------ Frau w.
Wenn sich die Laubbäume vom Sommer müde sich über meine Straße beugen, bevor die eigentliche Berliner Jahreszeit (ich meine den Herbst) beginnt, schlendere ich oft unter ihren wippenden Schatten vorbei, eilig.
Manchmal kommt mir eine alte Dame in Latschen entgegen, mit Wuschelhund - beliebig ersetzbar - sichtbar einsam, auf abendlichem Spaziergang.

Dazu fallen mir nur zwei Dinge ein:
ist das wohl meine Vermieterin, die mir so nett über einen Freund vor vier Jahren die Wohnung vermittelte? Ich stelle sie mir oft vor, ich kenne sie nicht, weiß nur, dass sie um die Ecke wohnt.
Andererseits: sehe ich auch so aus?

------------------- A.
St. Petersburg, das JEB Boot, Jh
ein großer Geist, blond, stark und nachdenklich nach innen gekehrt. Ihr Mann Y. ist ein Abbild ihrer inneren Verträumtheit, in unserem bisher einzigem Telefonat fragte sie mich warum das mit ihm wohl funktionieren würde.

Ich dachte, dass er ihr Möglichkeit gibt frei zu sein, ihr, die so gebunden ist an eine Vita Activa, im Orchester, in der Thomas Mann Gesellschaft und eine dominante Gruppenrolle unentbehrlich findet um sich sicher zu fühlen. Y. hat sie in der Wüste kennengelernt als sie 26 war, er hat 36 verstanden. Er fährt Motorrad und ist sehr warm und weich. Er nennt sie Battat, kleines Entchen. Er hatte ein Burnout seit sie nach Österreich gezogen sind.

------------------- ho.
Bekanntschaft aus Archetyp. Noch als verliebt auf französisch, traf ich sie im Hintereingang der neuen Kunstgalerie im Sommerbad Humboldthain.
Kennzeichen waren: unglaublich gepflegt, klein, perfekt gestutzter Pony
Haarschnitt, dezente Goldbrille, weißes durchsichtiges Hemd, kein Lächeln.
Sehr offen nervös, schämt sich nicht auch unzufrieden zu sein, höflich, trotzdem touchy, hat einen Onkel namens Jean-Renoir und liebt ihren Freund D. der viele Astrophysik Videos guckt und Designer Möbel verkauft. Sie hat eine gute Website. Auch ein paar Sommersprossen. Vielleicht sexy, weil so trocken.

------------------- g.
Barbarossaplatz, Gelbe Katze, Philharmonie, Sacre du Printemps im Konzerthaus mit Budapest Festival Orchestra, The Hat Bar, Zig Zag Club, Kukucksei, Wroclaw, Babylon zu Mitternacht
Große Liebe, die mir niemand glaubt. 23 jähriger Jüngling, mit so
kontrastreichem Gesicht, wie verschmitzter Kajal auf halbmondförmigen
Schalen aufgetragen, der Bernsteinkugeln unter weißer Plastilinhaut verbirgt. Tigerhafte Stärke in trockene, nach Guerlain riechenden Baumwollhemden in Farben der 70er Jahre gehüllt. Sehr launisch, sehr verwöhnt, unglaublich aggressiv, verkrampfen sich seine Augenbrauen unzufrieden und er klappert mit den Zähnen in der Nacht. Seine breiten Nasenflügel weiten sich, wenn er erregt ist und zufällig zuhört. Hasst jegliche Intimität, Angst vor Küssen, vor Umarmungen. Sein katholisches Gymnasium diente ihm als idealisierte Leidinspiration - besessen von seiner strengen Form, wurde er Objekt einer
süßlichen Bewunderung.

Ein Traum war, wo sein Haus im Südfranzösischen Sand eingegraben in
Goldstroh gleißend eingebettet, das bürgerliche Familienleben mit geschecktem Pferdekopf, den ich umarmte, und Großmutter, die ich grüßte, versprach.

------------------- p.
Dubrovnik, Wollankstr. Mehringdamm, das Semiotik Seminar rundes, polnisches Katzenwesen mit Ebenholzfarbenen, langen Haaren, perfekten Augenbrauen und zu dunklen Augen. Spricht sehr schnell, Miss Master Theses, wenn sie ihre Brille trägt. Immer auf der Flucht, vor der urteilenden Osteuropäischen Mutter - bei jüdischen Großeltern aufgewachsen. Liebt nur in schwarz und empfiehlt es mir auch. M. ist ihr Projekt, das manchmal gut, manchmal besser gelingt. Lügt oft, sich selbst auch an, man muss sie dann berichtigen, denn man sähe sie ja auch von außen. (Schnelle Gedanken mit starken Wünschen sind oft schwer.)

------------------- h.
Weinbar Wilmersdorf, Sommerbad Humboldthain, Portwein, das Mirage
sieht aus wie Fassbinder. (R.W.) Ich dachte ursprünglich er sei schwul, als ich noch aus familiären Gründen zur Homophobie tendierte. Er wollte im Kumpelnest nach der Orchesterparty mit mir tanzen. Wie so oft bin ich unsicher ob Musikerlocations vorher schon “it” sind oder wir sie dazu machen. (siehe SZIMPLA Budapest gegenüber der Akademie)
Vier Jahre später lernen wir uns besser kennen, er ist sehr offen und liebt alles - wie ein Kleinkind denkt er und wundert sich, wenn die Sachen anders passieren. Ich bediene seine Fantasien nur halb, was ihn wahnsinnig macht. Seit dem Tag, an dem er mir das Mirage zeigte, sind wir eng.

------------------ s.
Photographie Vorlesungen UNIZH, Besuch Winti 2019, Schulhof mit Paprika, Casa Pippistrello, Bus und Maestro Gianni
auf dem St. Gallener Festival inspirierte sie mich ein Foto von ihr zu machen, auf dem sie ihren nackten Fuß in beiden Händen hielt.

Denn sie bedeutet für mich die Intimität einer Schwester, phlegmatischer als ich, aber in ihre Art der Gerechtigkeit bleibt mir so nah, dass ich ihre Reaktionen jetzt nur noch besser
verstehe als mit 8. Damals fuhren wir oft im selben Schulbus, wir kannten uns ja über das gemeinsame “Schweizerdeutsch” aus der Scuola Elementare in Malvaglia; sie stieg Rongie ein, ich Chiesa - manchmal saßen wir nebeneinander.
Ich kannte ihren Vater Y. , einen Beduinen, der sich in die halbitalienische V. verliebt hatte, jedoch Alkoholiker und nun mit Zweitfamilie in Zürich fanatisch muslimisch lebte. S. hatte Asad den Hund (Löwe), jetzt hat sie Marley und bald ein Kind.

Copyright Alma Lux Grossen. ︎︎ ︎